Vier Monate alt. Über meine Tochter und ein Baumelding
Meine Tochter sitzt auf meinem Arm und
schaut mich an. In ihren Augen sehe ich erst ein Lächeln, ich könnte
nicht sagen, was es bedeutet – sie freut sich offenbar über
irgendetwas. Dann wird sie wieder ernst, sehr ernst, sie schaut auf
meinen Pullover, auf den Reißverschluss an meinem Hals. Dort hängt
ein kleines Ding, womit der Verschluss auf und zu gemacht werden
kann. Es ist aus grauem Metall, zwei Zentimeter lang, baumelt den
ganzen Tag auf meiner Brust nutzlos vor sich hin, unbeachtet...
Aber gerade jetzt wird das Ding
aufmerksam wahrgenommen von meiner kleinen Tochter, sie meint
irgendwie, es wäre das Zentrum der Welt, alles andere um sie herum
verschwindet, auch ich, der doch der stolze Träger des Dinges (und
meiner Tochter) ist. Ihre Aufmerksamkeit ist ungeteilt, richtet sich
auf das Eine, das im Moment zählt, das Ding (das den ganzen Tag
nutzlos hin und her baumelt).
Dann bewegt sie ihren rechten Arm,
versucht ihre rechte Hand in die Richtung des Dinges zu kriegen; sie
weiß, dass es möglich ist, das Ding zu berühren, eben zu
ergreifen, sie weiß jedoch nicht, wie das genau geht, sie versucht
es und versucht es... Ein leichtes Zittern zieht erst in ihren Arm,
dann in ihren ganzen Körper, eben ihr Köpfchen zittert mit. Ihr
Blick bleibt nichtsdestotrotz fest auf das Ding gerichtet, sie ist
bereits mit dem Ding verbunden und lässt nicht los.
Ich lasse sie, helfe nicht, was ich
leicht tun könnte – ich könnte sie zum Beispiel ein bisschen nach
vorne lehnen, sie dem Gegenstand näher bringen, den Abgrund zwischen
ihrem Händchen und dem grauen Baumelding kleiner machen. Ihr Arm ist
lang genug, sie könnte es schaffen. Und sie will es schaffen, ihre
Augen verraten einen Ernst und eine Entschiedenheit, die mit so etwas
Unwesentlichem wie Hilfe nicht rechnet.
Das Zittern, so scheint es mir,
entsteht dadurch, dass ein Wollen vorhanden ist, das seinen Weg bis
in die präzisen physischen Verhältnisse noch nicht gefunden hat.
Mit einem kräftigen Maß an Willenskraft sucht meine Tochter die
Berührung mit dem grauen Ding, die Kräfte fließen und schießen in
alle Richtungen: in ihren Kopf, ihre Arme, ihre Beine. Ihr ganzer
Körper ist dabei.
Ich schaue und staune. Und für ein
paar Minuten bin ich ganz bei meiner Tochter, genauso wie sie bei dem
Baumelding ist. Ich tue allerdings gerade kaum etwas, halte meinen
Körper eher regungslos, will nichts greifen, nichts bewegen, nur
meine Tochter auf meinen Armen tragen und zuschauen. Und doch gibt es
irgendwo in mir auch ein Zittern, ganz leicht, ganz still, vielleicht
vergleichbar mit dem Zucken der Haut eines gerade geborenen
Eselchens. Auch das Staunen hat etwas Zittriges...
Als sie das Ding endlich mit ihrem
Händchen ergriffen hat, scheint eigentlich gar nichts erreicht
worden zu sein. Meine Tochter ist eher verwirrt, hält das Ding
zwischen ihren Fingern und schaut um sich herum. Sie weiß nicht, wie
es wieder loszulassen wäre, weiß nicht einmal, dass es so etwas wie
loslassen überhaupt gibt. Sie fängt ein bisschen an zu quengeln,
macht „uh“ und „brr“ und „möh“, sitzt auf meinem Arm,
für ewig verbunden mit dem kleinen Baumelding.
Vorsichtig öffne ich ihr Fäustchen,
sie merkt es nicht einmal. Als aber das Ding wieder frei und nutzlos
auf meiner Brust hin und her baumelt, fängt meine Tochter von vorne
an. Sie wird ganz ernst, schaut auf den Gegenstand, so, als ob sie
ihn zum ersten Mal sieht, so, als ob er auf einmal ganz neu in der
Welt erschienen wäre, versucht ihn zu ergreifen... Und arbeitet sich
zitternd durch, bis sie aufs Neue ewig mit ihm verbunden zu sein
scheint...
3 Kommentare:
Lieber Jelle, Deine Beschreibung ist eindrücklich: Wer sich auf Kinder einlässt, besonders auf ganz kleine Kinder, erlebt eine Revolution der Maßstäbe: Was ist wichtig, was ist unwichtig im Leben? Welch ungeheurer Ernst, welche Willenskraft und Liebe, mit der die Kinder in die Welt schauen und die Dinge greifen. Und von allem, was sich bewegt, geht eine besondere Anziehungskraft aus... Die ganz kleinen Kinder können unsere Lehrmeister sein!
Liebe Grüße Ruthild
Ja stimmt,
Schön dass du dieses Zeitvergessen diese Schwerelosigkeit oder Zeitlosigkeit um die ganz kleinen Kinder so schön beschreibst. Mercie.
Herzliche Grüsse Andrea
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